Chennai erleben

Hallo meine Lieben,

was soll ich sagen? So viel Büro, so wenig Freizeit. Ich würde gerne mehr schreiben :/ aber ich bin eigentlich immer schon froh, wenn ich um halb eins Abends noch kurz mit meinen Lieben zuhause skypen kann.

Doch auch der vielgeehrte Leser hat natürlich ein nicht unbedeutendes Informationsrecht und ich komme meiner selbstauferlegten Bringschuld immer gerne nach. (Mit einem Klick auf die Bilder kommt ihr jeweils zur Großansicht 🙂 )

Nachdem Joggen oder Spazierengehen in Chennai lebensgefährlich und nun wirklich auch unspaßig wäre (es heisst ein Tag in einer indischen Großstadt wäre für die Lunge in etwas so, wie 2-3 Schachteln Zigaretten rauchen), betreibe ich seit einer Woche einen etwas ungewöhnlichen körperlichen Ausgleich. Nur in einem gesunden Körper wohnt schließlich auch ein gesunder Geist. Man muss für diese Weisheit nicht erst Hindu werden. Gleich nach dem Aufstehen läuft das Ambitionsmädchen mit Kopfhörer im Ohr alle 8 Etagen das Treppenhaus hinunter und alle insgesamt 9 Etagen wieder hoch. Dann wieder runter… und dann wieder hoch… insgesamt 5 Mal hintereinander. Nach diesem Trepp-Stepp/Kampfmarsch bei knapp 30 Grad über 45 Etagen hängen einem dann die Schweißperlen in den Wimpern und die kalte Morgendusche fühlt sich daraufhin besonders verdient an.

Vergangenen Samstag durfte ich eine der bisher aufregendsten Erfahrungen machen. Deshalb erzähle ich euch am besten direkt davon:

Ich lasse mich in der Altstadt von Chennai absetzen. Mit dem Auto käme man unbeschadet hier sowieso nicht durch. Es sind enge Gassen voller Leute und Vieh. Hier tummelt sich das „wahre“ indische Leben. Davon(!) erzählen die vielen Reisebücher und heimgekehrten Abenteurer.

Es ist später Nachmittag. Ich steige also aus, versuche mich erst wieder an die Hitzewand zu gewöhnen und orientiere mich. Die alten Häuser sind nicht besonders hoch. Vier, manche fünf Etagen, nur wenige noch höhere. Ihre Wände sind (nicht nur) ein typographischer Fleckenteppich. Zwischen den vielen mir unverständlichen Schriftzeichen immer wieder mal englische Leuchtreklamen. Sari-Tücher hängen wie bunte Flaggen an den Ladeneingängen.  

Ich stehe inmitten eines bunten Gewusels aus Rishkas (Fahrrad und Auto), Mopeds (viele), Kühe (klein, dünn und fressend), Hunde (manche ganz kahl und lausig), Menschen (noch mehr als Mopeds). Soweit man blicken kann haben sich an der eh schon schmalen Straße links und rechts Verkäufer aufgebaut. Auf und aus alten Kisten und Schachteln leuchten bunte Früchte und frisches Gemüse. Hier gibt es Mangos so groß wie Honigmelonen, „Ladyfinger“ (ein Gemüse wie kleine schmale Zucchini) und Mini-Zitronen. Dahinter ein Tuchverkäufer und wieder eins weiter einer mit Schuhen. An mir trägt ein barfüssiger  Junge in kurzen Hosen eine lange Stange mit Zuckerwatte in Neonfarben vorbei. Ein hagerer alter Mann zieht Zuckerrohr-Stangen durch ein nicht weniger betagtes Gestell mit zwei Walzräder und verkauft den frisch gewonnenen Saft in Plastikbechern. Die übrigen Rohrfasern sammeln sich auf dem Boden zu einem Haufen.

Es ist ein Unmenge an Gerüchen. Reifes Obst, Süßspeisen, Schweiß, Kuh, Moder, abgestandenes Wasser, Räucherstäbchen und -immer-: Abgase.

Ich laufe an einem Tempel vorbei. Er sieht ein bisschen aus, als hätte er sich gerade noch zwischen die Häuser zwängen können. Ein kleiner Fleck indische Ruhe mitten in diesem lärmendem Fluss. Wir sind im Land des Tuck-Tuck-Herzschlags.

In den geheimnisvollen Seitengassen drängen sich die Leute an den Kühen vorbei. Wenn eine Fahrrad-Rishka entgegenkommt wird es schon eng. Die Fahrer fangen dann an (weil sie keine Hupe oder Klingel haben) zwei gewölbten Blechschalen aneinander zu scheppen. Über einen Schnur-Mechanismus können sie das vom Lenker aus.

Ein Schmuckgeschäft reiht sich an das andere. Sie überbieten sich regelrecht an atemberaubende Handarbeiten in den Schaufenstern. Verschwenderisch schöne Colliers in irisierendem Gold, kombiniert mit Edelsteinen und feinen Kordeln. Fast immer sitzt in den Läden gerade auch ein Goldschmied und bückt sich schon über seine nächste Arbeit.

Die Zeit vergeht wie im Flug und es wird schneller dunkel als mir lieb ist. Von einer nahen Moschee aus ruft schon einer zum Gebet. Ich betrete noch einen Laden mit getockneten Hülsenfrüchten. In großen offenen Leinensäcken präsentieren sie sich da. Ich bin nicht wirklich überrascht, dass die Mäuse dazwischen durchhuschen. Eine verschindet gleich direkt im Sack. Ich denke an Onkel Dagobert wenn er im Geld badet. So ähnlich muss es sich hier für sie wohl auch anfühlen. Auf dem Rückweg kaufe ich mir noch eines der frisch am Straßenrand frittierten >> Jalebi, so etwas wie süße Teignester, heiß und fettig serviert.

Ich frage den Mann, ob ich ein Foto von ihm machen darf. Er lächelt mich an und nickt. Am Schluß zeige ich ihm das Bild am Kamera-Display und ich weiß gar nicht so recht, wer von uns beiden stolzer ist.

Bis bald,
euer Ambitionsmädchen.

4 Antworten to “Chennai erleben”

  1. ankiejunkie Says:

    also eins muss man mal sagen: schreiben kannst du super! Ich wünsche dir noch ein paar spannende und andersartige Tage in Indien, bevor dich die deutsche Einfältigkeit einholt, solltest du das Gewusel noch ein wenig genießen. Und wenn du zurückkomst, dann lockt eine grüne Wiese (!) mit Gänseblümchen (!) im Biergarten (!)…

    Kriegen wir das Foto von dem stolzen Mann auch noch zu sehen?

    Liebste Grüße aus Mannheim,

    Anke

  2. Zorro Says:

    Ich brauch noch mehr! 🙂 Mehr Geschichten! Mehr Abenteuer! Ich liebe dein „geschreibse“!

    Küsse, dein Zorro

    P.S. ich vermiss allerdings auch den Jalebi-Verkäufer!

  3. Kitty Says:

    Ich vermisse auch den Jalebi-Verkäufer. Aber die anderen Fotos sind toll! Und die Geschichte ist toll! Könntest du evtl. als unsere Indien-Korrespondentin dort bleiben? Ich brauch noch mehr Weltreise-Abenteuer-Urlaubsfeeling in meinem kleinen bescheidenen Büro.
    Mit besten Grüßen
    Frau Hunter

  4. Ambitionsmädchen Says:

    Verflixte Technik! Den schneidigen jungen Kerl hab ich im Augenblick nur auf meinem Handy und irgendwie blieb mir die Erkenntnis, wie ich ihn denn nun auf’s Firmenlaptop kriege noch verweigert.
    Ich frag glaub mal einen Inder… die kennen sich ja aus mit „eiti an‘ inderned mädemm'“ 🙂

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